Presserat prüft MZ-Berichterstattung
Wird die Berichterstattung der Mitteldeutschen Zeitung zum Mordfall in Dessau ein Fall für den Presserat? Zumindest prüft er einen bestimmten Artikel wegen möglicher Persönlichkeitsverletzungen und einer möglichen Verletzung der Unschuldsvermutung. Das bestätigte eine Sprecherin des Presserats auf Anfrage: „Es liegt eine Leserbeschwerde vor, das heißt, wir beschäftigen uns mit dem Fall.“ Es handele sich um eine Vorprüfung.
Diese findet immer statt, wenn sich Leser über Berichte beschweren. Erst danach wird entschieden, ob es wirklich ein Fall für den Presserat ist (zum Verfahren: hier). Im Fokus steht der Aufmacher der MZ vom 25. Mai 2016, am Tag, nachdem die Dessauer Staatsanwaltschaft in einer Pressekonferenz über die Verhaftung zweier Verdächtiger berichtet hatte. „Sind das die Killer von Dessau?“ lautete die Überschrift im Print, online hieß es: „Studentin umgebracht: Was passierte in der Wohnung des Pärchens?“
Der Presserat prüft nun einerseits, ob die MZ bei der Darstellung des Opfers oder der mutmaßlichen Täter sowie bei der Darstellung von Angehörigen Persönlichkeitsrechte verletzt hat. „Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen“, heißt es in Ziffer 8 des Pressekodex, und weiter: „Bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung. Soweit eine Anonymisierung geboten ist, muss sie wirksam sein.“ In dem Beitrag waren sowohl das Opfer als auch mutmaßliche Täter und Angehörige entweder gar nicht oder nur oberflächlich anonymisiert, weil eine einfache Google-Suche genügen würde, um Klarnamen zu erhalten. Ob das ausreichend war, muss nun der Presserat prüfen.
Zum anderen steht die Wahrung der Unschuldsvermutung in Frage, geregelt in Ziffer 13 des Pressekodex. Mit ihr soll eine mediale Vorverurteilung mutmaßlicher Täter verhindert werden, bevor ordentliche Gerichte ihre Schuld oder Unschuld festgestellt haben. „Die Presse darf eine Person als Täter bezeichnen, wenn sie ein Geständnis abgelegt hat und zudem Beweise gegen sie vorliegen oder wenn sie die Tat unter den Augen der Öffentlichkeit begangen hat“, so der Kodex.
Wirklich schmerzhafte Sanktionsmöglichkeiten hat der Presserat übrigens nicht. Er ist ein Selbstkontrollgremium, dass über den Pressekodex und damit die ethischen Grundwerte des Journalismus in Deutschland wacht. Er wird nur auf konkrete Beschwerden hin tätig. Liegen Verletzungen des Pressekodex vor, kann dem betreffenden Organ eine Rüge, eine Missbilligung oder lediglich ein Hinweis ausgesprochen werden. Öffentliche Rügen, die schwerste Form der Sanktion, müssen dann abgedruckt werden.
Ob es im MZ-Fall soweit kommt, ist bislang völlig offen. Viel spricht dafür, dass es sich um einen kniffligen Grenzfall journalistischer Ethik handelt, denn zumindest die Darstellung der Verwandtschaftsbeziehungen zwischen mutmaßlichen Tätern und der Dessauer Polizei, die alle Beteiligten leicht identifizierbar machen, ist nach den Entwicklungen des Falles durchaus auch von öffentlichem Interesse. Ob das schon am 25. Mai gelten durfte und für alle Aspekte des Beitrags gilt, wird die Prüfung ergeben.
Allein die erste Stufe, die Vorprüfung, werde sich nun sicherlich über mehrere Wochen hinziehen, so die Presseratssprecherin. Erst wenn sie berechtigte Anhaltspunkte für die Beschwerde zeigt, kommt der Fall vor den Beschwerdeausschuss des Presserats. Der wiederum tagt nur viermal im Jahr und gibt dem betroffenen Medium die Möglichkeit zur Stellungnahme.
MZ-Chefredakteur Hartmut Augustin teilte, um eine Stellungnahme für diesen Beitrag gebeten, mit: „Bislang liegt uns keine Anfrage des Presserats vor.“
Anmerkung: Ich habe den in Frage stehenden Artikel hier nicht verlinkt, weil es sich um einen Text handelt, der möglicherweise die journalistische Ethik verletzt. Sollte der Presserat ihn für unbedenklich halten, werde ich natürlich berichten und den Link nachliefern.