Vinylchlorid: Grenzwert um das Tausendfache überschritten
Der Hufeisensee in Halle ist offenbar nur sehr vereinzelt mit giftigen Chemikalien belastet, das Grundwasser zwischen den östlichen Stadtteilen Freiimfelde und dem westlichen Büschdorf dagegen teilweise erheblich. Das geht aus Messdaten zu Vinylchlorid (VC) und leichtflüchtigen halogenierten Kohlenwasserstoffen (LHKW) hervor, die für diesen Blog nun erstmals eingesehen werden konnten. Insbesondere Vinylchlorid gilt als krebserregend.
Ursache für die Belastung mit dem giftigen Stoff, der ein Abbauprodukt anderer Chemikalien ist, ist ein ehemaliger Chemiehandel in der Reideburger Straße (siehe Karte). Dort ist der Boden chemieverseucht, und das VC wird offenbar durch Sickerwasser ins Grundwasser gespült. Von dort wandert es scheinbar hauptsächlich in südliche Richtung bis zum Hufeisensee.
In der Nähe des ehemaligen Chemiehandels misst ein von der Stadt beauftragtes Umweltbüro im Grundwasser seit Jahren Werte, die um das bis zu Tausendfache über dem anerkannten Grenzwert für Vinylchlorid liegen. Dieser liegt bei 1,5 Mikrogramm je Liter Wasser, an der Grundwassermessstelle Br 2/78 in der Reideburger Straße lag der höchste gemessene Wert 2013 jedoch bei 2200 Mikrogramm pro Liter. Die Gefahr, die dort im Boden lauert und sich über das Grundwasser verteilt, ist bisher jedoch nur in Fachkreisen bekannt.
Im Hufeisensee dagegen, der sich auch aus von Norden zufließendem Grundwasser speist, wurden nur an zwei von 18 Messstellen vereinzelt erhöhte Werte gemessen. Hier geht die Stadt von einem Warnwert von 10 µg/l aus. Der Spitzenwert lag hier an der Messstelle 5 am nördlichen Ufer des Hufeisensees im November 2014 bei 22 µg/l. Diese Werte waren offenbar im Frühjahr ausschlaggebend dafür, dass die Stadt die Freigabe des kompletten Sees bis auf weiteres zurückhält – eine unerwartete Maßnahme, da mit dem Bau des Golfplatzes eigentlich auch Badestellen ausgewiesen werden sollten. Zwar sind die an Messstelle 5 gemessenen Werte immer noch ein Vielfaches des niedrigeren 1,5µg-Richtwertes, doch die gemessenen Werte schwanken dort stark; in manchen Monaten ist praktisch kein Vinylchlorid messbar. Es zerfällt bei Licht- und Lufteinwirkung schnell in ungefährliche Stoffe. Zudem sind alle anderen Messstellen durchgängig unauffällig, mit einer Ausnahme: Auch an Messtelle 7, die ziemlich genau an der nun gebauten Liegewiese in der Nähe des Golfplatzes liegt, gab es noch eine minimale Überschreitung im Spätherbst 2014. 1,6 Mikrogramm pro Liter wurden damals gemessen. Seitdem liegen die Werte stets unter 1,5 Mikrogramm pro Liter. Die Stadtverwaltung sagt dazu:
Auch wenn teilweise nur geringe Mengen [Vinylchlorid, d.Red.] nachgewiesen werden, kann die Stadt Halle nicht die Verantwortung für die Ausweisung als Badegewässer übernehmen. Der Schutz der Bevölkerung hat oberste Priorität, Baden ist verboten.
Zu den Gefahren durch die Kontamination des Grundwassers sagt die Stadt dagegen:
Eine pauschale Beantwortung ist ohne konkreten Standort des Brunnens sowie Nutzungsart und -umfang nicht möglich.
Neben der Chemiehandlung in der Reideburger Straße gilt auch das Gelände der ehemaligen Reichsbahn in Bahnhofsnähe als eine mögliche Quelle für Vinylchlorid und LHKW. Dort wird bereits seit 2009 der Boden saniert. Messwerte aus der näheren Umgebung dieses Geländes liegen diesem Blog jedoch nicht vor.
Ein Grund, warum die Stadt bisher öffentlich vor allem auf die Gefahren im Hufeisensee und nicht auf die – erheblich höheren – im Grundwasser hingewiesen hat, dürfte darin liegen, dass der Abfluss des Grundwassers zum Hufeisensee im Wesentlichen unter unbewohntem Gebiet erfolgt. An einer Grundwassermessstelle in der Torgauer Straße jedoch, also mitten in einem Büschdorfer Wohngebiet, liegen die VC-Werte ebenfalls über dem Grenzwert: bei bis zu 11 Mikrogramm pro Liter. Allerdings soll es im westlichen Büschdorf praktisch keine Entnahmebrunnen für Grundwasser auf Privatgrundstücken geben – sie wären bei diesen Messwerten wohl auch nicht genehmigungsfähig. Die Notwendigkeit einer Bodensanierung oder anderer aktiver Beseitigungsmaßnahmen sieht die Stadt bisher nicht.
Anders in der rheinland-pfälzischen Stadt Speyer. Dort hatte Vinylchlorid, das von einem Betriebsgelände der Firma Siemens aus das Grundwassser der Umgebung und einen naheglegenen Badesee verseucht hat, bereits vor Jahren öffentliche Diskussionen und diverse Maßnahmen ausgelöst. Die Stadt Speyer veranlasste – auch nach Anwohnerprotesten -, am Ende Bodensanierungen und in einem seither gesperrten Badesee eine sogenannte Tiefenbelüftung, um den Abbauprozess von VC zu beschleunigen. (Informationen dazu hier, hier und hier)
Ausgewählte Messwerte: