Mispelweg wehrt sich
Am Sonntag soll es trotz Regens voll gewesen sein in den Gärten am Mispelweg im Stadtteil Frohe Zukunft, beinahe Volksfeststimmung. Denn es gab politischen Besuch auf der Scholle, die wohl zu den beliebtesten Gartenanlagen Halles gehört, trotz dass es nicht einmal Wasseranschlüsse in den Gärten gibt. Vertreter aller Stadtratsfraktionen und zwei Bundestagskandidaten waren gekommen, um den Gärtnern zuzuhören und sich das Problem, das bisher nur von abstrakten Skizzen bekannt ist, im realistischen Grün anzuschauen. Der Mispelweg wehrt sich. Gegen einen Verkauf der Gärten an Wohnungsbauinvestoren, der bisher, zumindest wenn man offiziellen Dokumenten glaubt, jedoch gar nicht zur Debatte steht.
Doch es ist durchaus ein Zeichen für die politische Stimmung in der Stadt, dass offiziellen Verlautbarungen aus dem Rathaus offenbar wenig getraut wird. Und dass der Stadtrat – Bundestagswahlkampf hin oder her – inzwischen geschlossen Partei für besorgte und verunsicherte Bürger ergreift, die Stadtverwaltung von Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) zu Bürgerfragen und ihren eigenen Plänen aber eher vage bleibt.
Vage, weil es ein kleines Kapitel in der neuen Friedhofsentwicklungsplanung der Stadt ist, das dem Thema überhaupt erst Schwung verliehen und das Misstrauen geschürt hat. „Potenzial für Wohnbebauung“ sah der Planungsentwurf der Stadtverwaltung dort, wo jetzt noch Tomaten und Kartoffeln wachsen. Die Nachbarschaft rund um den Bergschenkenweg gilt in der Tat als attraktive Wohngegend in Halle. Die Gartenanlagen am Mispelweg, die nicht den Status von Klein-, sondern von Erholungsgärten haben, gehören offiziell zum Gertraudenfriedhof. Die Flächen waren seit Jahrzehnten für extreme Notfälle vorgehalten worden, also falls zum Beispiel durch Seuchen tausende Todesopfer schnell zu begraben gewesen wären. Heutzutage, wo kaum noch Seuchen epischen Ausmaßes vorstellbar sind und im Zuge der demographischen Entwicklung auch eine Verkleinerung von Großfriedhöfen sinnvoll wäre, ist das Seuchengelände nach rein betriebswirtschaftlichen Maßstäben praktisch totes Kapital für die Stadt. Abgesehen von den geringen Pachtbeträgen, die die Gärtner derzeit bezahlen.
Die Alarmglocken schrillten bei Gärtnerin Ulricke Eichstädt schon bevor in der Friedhofplanung schwarz auf weiß „Wohnbebauung“ stand. Einige Gärtner hatten im Herbst geplant, nach Jahrzehnten endlich einen Wasseranschluss für die Gärten legen zu lassen. Als Eichstädt nach Monaten bei der für Liegenschaften zuständigen Abteilung in der Stadtvgerwaltung anrief, was aus dem Antrag geworden sei, habe es geheißen, man könne den Antrag nicht bescheiden, weil derzeit ein Verkauf der Flächen geprüft werde. Für die Gärtnerin eine verblüffende Auskunft, denn sie kannte die gültige Kleingartenkonzeption. In der waren die Mispelweggärten noch als voll erhaltenswert deklariert worden. „Im März haben wir dann von der Passage in der Friedhofsplanung erfahren, und da war klar, dass wir uns wehren müssen“, sagt Eichstädt. „Denn wenn das so beschlossen wird, wäre das der Freibrief für die Stadt, unsere Pachtverträge zu kündigen.“ Eichstädt wurde zur Sprecherin der Gärtner, und der Widerstand gegen die – tatsächlichen oder vermeintlichen – Verkaufspläne zu einem Beispiel aktiven Bürgerengagements.
Die Gärtner sammelten Unterschriften, die Grünen griffen das Thema als erste auf. „Wir wollen Klarheit, dass ein Verkauf der Flächen ausgeschlossen ist“, sagt Grünen-Stadtrat Marko Rupsch. Der gemeinsam mit der Linken gestellte Änderungsantrag, der der Verkleinerung der Friedhofsfläche zwar zustimmt, aber die Passage zum Verkaufspotenzial streichen möchte, wird inzwischen von allen Fraktionen mitgetragen. Den Ausschuss für Stadtgestaltung hat er bereits mit großer Mehrheit passiert. „Unsere Befürchtung ist, dass die Verwaltung nur mit dieser Friedhofsplanung losläuft und sich schonmal eine Vermarktungsstrategie ausdenkt“, so Rupsch. „Die Öffentlichkeit und wir als Stadtrat stünden dann schon vor fast vollendeten Tatsachen.“
Erst kürzlich hatten mehrere Grundstücksverkäufe im Charlottenviertel, die OB Wiegand am Stadtrat vorbei abgewickelt hatte, für Spannungen gesorgt. Die Befassungsgrenze war bei jedem Grundstück zwar eingehalten worden, aber die Grundstücke hängen praktisch zusammen und wurden an ein und denselben Käufer verkauft. Der Fall beschäftigt die Kommunalaufsicht. Von einer „Salamitaktik“ spricht Thomas Schied, der für die Linke im Stadtrat sitzt, nun auch beim Mispelweg. “ Wenn die Stadt keine Verkaufspläne hat, warum schreibt sie dann so etwas in die Friedhofsplanung? In der Kleingartenkonzeption hat man 2013 den Gärtnern gesagt: Eure Gärten haben Zukunft. Da kann man nicht ein paar Jahre später etwas aufschreiben, das etwas ganz anderes aussagt.“
CDU-Stadtrat Christoph Bernstiel war ebenfalls am Sonntag am Mispelweg, um sich das Gelände einmal selbst anzuschauen. „Wir reden da nicht von einer Wiese“, sagt er hinterher. „Das ist in teilen praktisch Wald. Wenn man das umwidmen würde, müsste man sehr viel abholzen.“ Seine Fraktion stehe ebenfalls an der Seite der Gärtner. „Klar wären das schöne Baugrundstücke, aber man muss nicht überall in der Stadt Wohnungen bauen. Dafür gibt es noch andere Flächen, bei denen wir über eine Entwicklung nachdenken können.“ Bernstiel kandidiert im Herbst in Halle für den Bundestag. Bundestagsabgeordneter Karamba Diaby (SPD), der ebenfalls am Sonntag vor Ort war, sagte: „Die Kleingartenanlagen erfüllen einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt unserer Stadt.“ Auch die SPD werde im Stadtrat den Änderungsantrag unterstützen. Er setze sich darüber hinaus auf Bundesebene dafür ein, alle Kleingartenanlagen zu stärken, etwa durch Mittel aus der Städtebauförderung.
Fragen dieses Blogs zum Themenkomplex hat die Stadt seit dem 25. April nicht beantwortet. In einem Schreiben, das Planungsdezernent Uwe Stäglin im Namen des Oberbürgermeisters an die Gärtner geschrieben hat und das diesem Blog vorliegt, heißt es, die Kleingartenanlage müsse keine Gefährdung durch die Friedhofsentwicklungsplanung befürchten. Sie beeinflusse die Kleingartenkonzeption nicht. Eine Umwidmung zu Wohnbauflächen sei eine von verschiedenen denkbaren Nutzungen. Selbst bei einem Verkauf müsse der Stadrat noch einmal gesondert befragt werden. Eine Entscheidung zur Nachnutzung werde jetzt jedoch nicht gefällt.
Für Ulrike Eichstädt klingt das nicht wie ein felsenfestes Dementi. „Ich bin überzeugt davon, dass das mit dem Verkauf mehr als nur eine Idee war. Hätten wir uns nicht gewehrt, hätte die Stadt das vielleicht durchgezogen.“ Die Gärtner wollen nun in die Offensive gehen und versuchen, Pachtverträge mit der Stadt auszuhandeln, die nicht mehr ohne weiteres kündbar sind.
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