Kitakrimi ist Stellvertreterkrieg
Als der größte freie hallesche Kitaträger, die SKV-Kita gGmbH, im Mai eine sogenannte Insolvenz in Eigenverwaltung anmeldete – und von Gläubigern und dem Amtsgericht Halle genehmigt bekam – war allgemein erwartet worden, dass das Verfahren die Firma schnell und geräuschlos sanieren würde. Denn das Unternehmen war nicht aufgrund struktureller Probleme in der Schieflage, sondern wegen einmaliger Rückforderungen der Stadt. Es schien also nur eine Frage von Verhandlungen, wie eine Lösung in beiderseitigem Interesse erreicht werden könnte.
Nun, knapp sechs Monate später, eskaliert das Insolvenzverfahren in einem politischen Streit im Stadtrat, der hauptsächlich von CDU und Linken geführt wird. Es geht dabei um die Rolle Bodo Meerheims, des Fraktionsvorsitzenden der Linken und gleichzeitigen Geschäftsführers der SKV. So hatte der CDU-Stadtverbandsvorsitzende und Landesminister Marco Tullner am Wochenende die Linke und Meerheim scharf attackiert und Meerheims Rücktritt als Finanzausschussvorsitzender gefordert (hier), weil sich Meerheim im Interessenskonflikt befinde. Die Replik der Linken-Stadtvorsitzenden Marianne Böttcher ließ nicht lange auf sich warten. Sie wirft Tullner und der CDU vor,die SKV in dem Streit quasi als Geisel zu nehmen in dem Sinne: Trete Meerheim nicht zurück, verweigere die CDU die Zustimmung zum Insolvenzplan der SKV (hier).
Ein Blick auf die Hintergründe lässt vermuten, dass sich hinter dem Streit um die SKV vor allem ein politischer Konflikt verbirgt, vielschichtig und intrigant – eine Art House of Cards an der Saale, nur dass die Materie weitaus trockener ist und sich nicht gut fürs Fernsehen eignen würde. Die Protagonisten: Oberbürgermeister Bernd Wiegand, Finanzberater Jens Rauschenbach, Linken-Fraktionschef Bodo Meerheim und die CDU-Leute Marco Tullner und Andreas Scholtyssek.
Vornehmlich geht der Streit ums Geld. Im Rathaus ist das Thema SKV Chefsache. Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) und OB-Chefberater Jens Rauschenbach bestimmen die Agenda, die zuständigen Beigeordneten Katharina Brederlow (Soziales) und Egbert Geier (Finanzen) sind raus, sagen Quellen im Rathaus. Wiegand und Rauschenbach haben mehrere Insolvenzpläne der SKV bisher abgelehnt mit dem Argument, dass die Stadt möglichst viel Steuergeld aus der Insolvenzmasse zurückerhalten müsse und die SKV nicht besser als andere Träger gestellt werden dürfe. Doch über die Zustimmung oder Ablehnung zum Insolvenzplan muss der Stadtrat entscheiden. Und da gibt es bisher ein Patt. Am Freitag gab es nur vereinzelte und knappe Mehrheiten für den OB. Ob der Stadtrat seinen Empfehlungen am Mittwoch folgt, ist ungewiss.
Die Stadt will hart bleiben und möglichst viel ihrer Gelder retten, auch wenn es notfalls die Existenz der SKV kostet. Die Existenz des Unternehmens wohlgemerkt. Die Kitas, das betont die Rathausspitze, würden so, wie sie sind, weitergeführt. Ein Versprechen, das Kritiker des Rathauses in Zweifel ziehen. Ein Trägerwechsel bringe immer Verluste – an Qualität und an Kenntnis der Belange vor Ort.
Sie vermuten vor allem persönliche Motive. Die Stadt zeige keinen Willen, die Insolvenz der SKV zur Sanierung des Unternehmens – immerhin ein anerkannter Träger in der Stadt – zu gestalten, und diese Hartleibigkeit ziele auf Bodo Meerheim. Denn OB und CDU haben jeweils eigene Rechnungen mit Meerheim offen. Meerheim, früher zumindest distanzierter Unterstützer des OB, zählt inzwischen zu dessen härtesten Kritikern. Unklar ist auch die Rolle Jens Rauschenbachs. Dessen übermächtige Position im Hintergrund der städtischen Politik ist manches Mal von Meerheim kritisiert worden. Rauschenbach liefert nun mit Gutachten die Munition, um möglichst hart gegenüber der SKV aufzutreten. Und die CDU unter dem neuen Fraktionsvorsitzenden Scholtyssek wartet schon lange auf die Gelegenheit einer Retourkutsche. Die Rivalitäten der praktisch gleichgroßen Parteien waren vom guten Verhältnis zwischen Meerheim und dem langjährigen CDU-Fraktionschef Bernhard Bönisch lange kaschiert worden. Doch etliche Niederlagen in Personalfragen trägt die CDU immer noch als Demütigungen mit sich herum. So musste sie den Stadtratsvorsitz an die Linke abgeben, und es gibt auch keinen CDU-Beigeordneten mehr. Beides lasten etliche in der CDU vor allem Meerheim an.
Es gibt also viele Indizien, dass der Insolvenzkrimi ein Stellvertreterkrieg ist, der nun auf dem Rücken der SKV ausgetragen wird. Eine Konstellation, an der Meerheim wiederum ebenfalls nicht ganz unschuldig sein könnte. Denn dass seine Doppelrolle in Stadtpolitik und in der Kitalandschaft – immerhin einer der wesentlichen Verschiebebahnhöfe öffentlichen Geldes in der Stadt – das Potenzial zum Geschmäckle hat, sehen auch sonst wohlwollende Stadträte so. Ohne Meerheim an der Spitze könnte die SKV – das sehen fast alle Beobachter so – mit einer kooperativeren Stadtspitze rechnen. Das Etikett „Mister Stadtrat“ (MZ) mag allzu plakativ und übertrieben sein, um möglichst viel Fallhöhe zu erzielen. Doch ein gewiefter Strippenzieher ist Meerheim allemal – und versteht es eben dadurch, Mehrheiten im Stadtrat zu gewinnen.
Nicht selten aber unterliegt Meerheim eben auch, das ist Demokratie, das ist Politik. Die SKV-Pleite mit Meerheims politischer Rolle zu verknüpfen, geht für viele Stadträte daher zu weit. „Einem Kita-Träger den Hals umzudrehen, um einer Person politisch zu schaden, das geht nicht“, formuliert es einer, der bei den Verhandlungen dabei war. Denn es gehe eben auch um die SKV und damit um rund 250 Mitarbeiter, hunderte Kinder und Eltern – und natürlich ums Geld.
Mittlerweile ist nicht einmal mehr klar, ob der Kurs des OB wirklich das meiste für die Stadt aus der SKV-Insolvenz herausholt. Denn Anwalts- und Prozesskosten könnten die ohnehin geringe Insolvenzmasse weiter schmälern – ein Szenario, das bei kooperativen Verhandlungen hätte vermieden werden können. Am Ende verdienen nun vor allem die Berater und Anwälte – ein Muster, das in den letzten Jahren in Halle Mode geworden zu sein scheint. Allein die Kosten, die durch den bestellten Insolvenzsachwalter Lucas Flöther entstehen, liegen bei knapp 240.000 Euro. Hinzu kommen ungenannte Beträge für Beratungen auf beiden Seiten. Hätte die Stadt im Vorfeld ihre Forderungen gestundet und gestückelt, wäre dergleichen möglicherweise vermieden worden.
Weitere Hintergründe zur SKV-Insolvenz hier zusammengefasst…