„Sprachunterricht muss weitergehen“
Sie kümmern sich ehrenamtlich um unbegleitete Flüchtlingskinder und sind nun wegen der seit Wochen schwelenden Debatte um die Sprachlehrer im Land auf die Barrikaden gegangen: eine Gruppe Magdeburger Vormunde. Noch immer droht ein Großteil der Sprachlehrer zum Jahresende ohne Vertrag dazustehen. Nun fürchten die Helfer um die Integrationschancen der Kinder, die Ihnen anvertraut sind und hoffen auf landesweite Unterstützung. Ein Gespräch mit dem Unternehmensberater Emiel Hondelink und der Sachbearbeiterin Marion Stekly darüber, wie wichtig der Sprachunterricht ist, was es heißt, ein Flüchtlingskind als Mündel zu haben und wie unvernünftig es aus ihrer Sicht wäre, die Sprachlehrer zum Jahresende gehen zu lassen.
Frau Stekly, Herr Hondelink, Sie haben sich am Freitag in einer Petition an den Landtags-Bildungsausschuss zum derzeit breit diskutierten Thema Sprachlehrer gewandt. Was fordern Sie?
Hondelink: Unsere Forderung ist einfach. Es soll so bleiben, wie es derzeit ist, das heißt, der Sprachunterricht muss fortgeführt werden. Die Verträge mit 230 Sprachlehrern in Sachsen-Anhalt laufen zum Ende des Kalenderjahres aus. Stand jetzt werden aber nur 50 unbefristet übernommen. Aus der Presse haben wir erfahren, dass der Bildungsminister Marco Tullner (CDU) nochmal 75 Leute übernehmen will. Dann bliebe immer noch eine Lücke von gut 100 Sprachlehrern.
Wieviel Unterstützung haben Sie schon?
Stekly: Wir haben am Freitag mit unserer Petition 643 Unterschriften an den Vorsitzenden des Bildungsausschusses Thomas Lippmann (Linke) übergeben. Das ist viel angesichts der kurzen Zeit, und die Petition läuft ja noch weiter.
Hondelink: Für drei Wochen sammeln ist das eine gute Quote. Wir sind stolz, dass wir das hinbekommen haben. Am Anfang standen Unterschriften vieler Vormunde wie uns aus dem Raum Magdeburg. Aber es kommen auch immer mehr Namen von betroffenen Schulen bis hin zu Unterschriften aus dem ganzen Bundesgebiet dazu. Es gibt inzwischen eine breite Front, und sie wächst weiter, so dass wir hoffen, dass es bald auch eine große landesweite Unterstützung für unser Anliegen gibt. Aber ebenso wichtig wie der Protest ist uns, dass wir seit Beginn unserer Aktion auch gute Gespräche geführt haben, zum Beispiel mit der Staatssekretärin im Bildungsministerium Edwina Koch-Kupfer (CDU).
Was hat sie gesagt?
Hondelink: Sie hat uns ganz offen angehört. Sie war ja selbst Lehrerin und kennt viele Probleme aus der Praxis. Aber letztendlich dreht es sich immer um das Geld und darum, welche Prioritäten man setzt. Das ist so ein bisschen das Gezerre.
Es wird sich negativ auf die Unterrichtsversorgung aller Kinder auswirken.
Um wieviel Geld geht es?
Hondelink: Wir reden über fünf Millionen Euro, die nötig wären. Denn die Leute sind ja da. Im Bereich Sprachlehrer haben wir eine funktionierende Struktur und keinen Lehrermangel. Aber wir verlieren die Leute, wenn wir jetzt nicht das Geld dafür ausgeben. Die Grünen sind dafür, wie man hört, die SPD auch, und die CDU hält sich noch zurück, äußert sich aber auch nicht als Gegner. Eigentlich sollte man meinen, dass es klappen müsste. Zumal bereits im Koalitionsvertrag steht, dass eine kurzfristige Lösung zur Verlängerung der befristeten Arbeitsverträge der Sprachlehrkräfte angestrebt wird.
Welche Rolle spielen die Sprachlehrer für Flüchtlingskinder wie Ihre Mündel?
Stekly: Wir haben rund 7400 minderjährige Flüchtlinge im Land, die beschult werden müssen. Das geht eigentlich ohne diese Sprachlehrer nicht. Sie wurden im letzten Jahr eingestellt, und einige Schulen haben spezielle Sprachklassen gebildet. Da gibt es Grundkurse, in die Kinder aufgenommen werden, die gar kein Deutsch sprechen oder sogar Analphabeten sind. Wenn sie fortgeschritten sind, kommen sie in einen anderen Sprachkurs und nehmen zunehmend auch am Regelunterricht teil. Sie werden also an den normalen Unterricht herangeführt. Eigentlich soll dieser Prozess für jedes Kind anderthalb Jahre dauern. Das ist jetzt in Gefahr. Wenn es keine Sprachklassen gibt, müssten die Kinder in die normalen Klassen, die ohnehin die Obergrenze der Schülerzahl schon erreicht haben. Wie die Lehrer diesen Unterricht dann mit Kindern, die kein deutsch sprechen, gestalten sollen, ist mir unklar.
Hondelink: Es wird sich negativ auf die Unterrichtsversorgung aller Kinder auswirken. Dann haben deutsche Kinder und Flüchtlingskinder alle das gleiche Problem. Das kann nicht Sinn und Zweck sein.
Bei der Bildung sollte der Rotstift nicht angesetzt werden.
Im sachsen-anhaltischen Bildungssystem kommt gerade eines zum anderen, das Sprachlehrerproblem zum allgemeinen Lehrermangel. Wie weit geht denn Ihr Verständnis für die Probleme des Ministers?
Hondelink: Eigentlich haben wir keinen richtigen Gegner. Herr Tullner ist ja nicht prinzipiell dagegen. Uns scheint aber trotzdem bei einigen das letzte Stück politischen Willens zu fehlen. Schon 230 Sprachlehrer sind nach den eigenen Maßstäben des Ministeriums zu wenige für die Aufgaben, die sie übernehmen. Unsere Forderung, dass alles so bleibt, wie es ist, ist also schon ein großer Kompromiss.
Stekly: Natürlich ist wichtig, dass auch Lehrer für den Regelunterricht eingestellt werden. Wir sagen ja nicht, dass wir nur Lehrer für Migranten brauchen. Da gibt es keine Rangfolge. Bei der Bildung sollte der Rotstift nicht angesetzt werden.
Welche konkreten Auswirkungen befürchten sie?
Stekly: Ohne Sprachunterricht ist zu befürchten, dass viele Kinder nicht mehr dem regulären Unterricht folgen können. Sie werden demotiviert und gehen dann nicht mehr zur Schule. Sie werden zu Schulverweigerern und womöglich zu künftigen Hartz-IV-Empfängern.
Hondelink: Solche Erfahrungen habe ich als Vormund bereits gemacht. Mein Mündel geht nur mit Widerwillen zum normalen Unterricht.
Warum?
Hondelink: Weil er die Sprache noch nicht gut genug versteht, die Schreibschrift an der Tafel nur schwer lesen kann und Begriffe verwendet werden, die noch nicht im Sprachunterricht behandelt wurden. Das sind die Probleme, die praktisch automatisch entstehen und die man nur mit weiterem Sprachunterricht lösen kann.
Wie oft haben Sie als Vormund mit ihren Kindern überhaupt zu tun?
Stekly: Mein Mündel ist ein 11-jähriger Syrer. Er wohnt bei seinem 21-jährigen Bruder und dessen 19-jähriger Frau und einem Baby. Ihn betreue ich seit April, und er geht auch erst seit April hier in Magdeburg zur Schule. Dort ist er sehr gut aufgehoben. Mit dem Sprachgrundkurs klappt es sehr gut. Ich bin absolut begeistert über die Fortschritte, die er macht, und auch er ist glücklich. Es gibt einen sehr guten Kontakt zu seiner Lehrerin, die sich auch sehr gut um die Kinder kümmert und auch zu mir als Vormund intensiv Kontakt hält. Das wäre in einer normalen Klasse überhaupt nicht möglich. Mit dem Jungen selbst habe ich zwei- bis dreimal pro Woche Kontakt. Ich unternehme viel mit ihm und habe organisiert, dass er in einem Fußballverein spielen kann.
Was ist mit den Eltern des Kindes?
Stekly: Die Eltern des Jungen sind mit zwei kleineren Kindern in Syrien geblieben. Sie haben ihre ältesten Söhne losgeschickt, damit sie in Sicherheit sind, nicht zum Wehrdienst müssen und eine Perspektive haben. Die Eltern haben das Geld für die Flucht, 1000 Euro, zusammengespart und haben sie losgeschickt. Eine Flucht zu siebt: fünf junge Männer, eine junge Frau und mein Mündel.
Es wird viel von Integration gesprochen, aber es wird zu wenig getan.
Wie verständigen Sie sich mit ihm?
Stekly: Inzwischen nur deutsch. Das wird immer besser. Ich merke das von Woche zu Woche. Er ist ein sehr wissbegieriges Kind. Anfangs konnte ich mich nur mit dem großen Bruder über Whatsapp und Übersetzungsprogramme verständigen. Meinem Mündel schreibe ich aber nur auf Deutsch, und das möchte er auch so.
Also will er sich „integrieren“, wie es immer so schön heißt.
Stekly: Er weiß, dass Deutsch lernen wichtig ist. Er ist sehr aufgeschlossen und will Kontakt zu anderen Kindern haben, will mit ihnen lernen und Sport machen. Ich finde es schon schlimm genug, dass in Sachsen-Anhalt die erwachsenen Migranten teilweise ein Jahr oder länger auf die Sprach- und Integrationskurse warten müssen. Dass jetzt auch noch die Sprachkurse der Kinder auf der Kippe stehen, ist nicht akzeptabel. Es wird viel von Integration gesprochen, aber es wird zu wenig getan. Sprache und Kommunikation sind die Basis für jede Integration, und wenn diese Grundlage fehlt, werden auch alle weiteren Maßnahmen scheitern.
Herr Hondelink, wenn ich Ihre Andeutungen richtig verstehe, haben Sie ein bisschen mehr Probleme mit Ihrem Mündel?
Hondelink: Er ist 14 und lebt mit seinem 20-jährigen Onkel zusammen. Am Anfang gab es aber auch noch richtig ernste Probleme in der Schule. Seitdem wir zusammen mit meiner Lebensgefährtin eine bessere Vertrauensbasis zu ihm aufgebaut haben und regelmäßig üben, hat er jedoch erhebliche Sprünge gemacht. Sein Deutsch ist besser geworden, und er weiß, dass ich alles mitbekomme, was er in der Schule macht. Denn mein Kontakt zu seiner Sprachlehrerin ist sehr gut.
Am Ende geht es um fünf Millionen Euro. Sind wir bereit, dieses Geld zu investieren, oder nicht?
Was haben Ihre zwei Mündel jeweils für Träume und Ziele hier in Deutschland?
Hondelink: Hier anzukommen und später einen Beruf zu lernen.
Stekly: Für meinen Jungen ist es noch zu früh, so etwas zu sagen. Aber so gut, wie er sich macht, könnte er bestimmt später auch studieren.
Hondelink: Auch bei meinem Mündel würde ich das nicht ausschließen. Ich war ja auch ein Spätzünder. Wichtig ist, dass er die Möglichkeiten bekommt. Gerade probiert er sich schon in verschiedenen Richtungen aus, und seine Schule fördert ihn wie alle Kinder bei der Berufsorientierung. Das ist wichtig.
Warum legen Sie sich jetzt politisch so ins Zeug?
Hondelink: Weil wir als Vormünder einfach als erste merken, wie wichtig die Schulen und die Lehrer für die Sprache und die Integration sind. Deshalb haben wir gesagt, dass wir uns jetzt dafür stark machen müssen, dass diese Leute an den Schulen bleiben und diese gute Arbeit weitermachen können.
Wie hat es Ihr eigenes Leben verändert, Vormund für Kriegsflüchtlinge zu sein?
Stekly: Mein Leben hat sich sehr verändert, denn ich habe neben meinem Mündel auch noch seinen Bruder, dessen Frau, ein Baby um die ich mich kümmere. Vier Cousins gehören auch noch zur Familie. Allein Wohnungen zu finden, war sehr schwer. Man muss sich am Anfang um viele Behördengänge und viele Dinge des täglichen Lebens kümmern. Diese Menschen können das nicht alleine, wenn sie hierherkommen. Sie können sich nur schwer orientieren. Für mich war das absoluter Stress, ich war an meiner Belastungsgrenze angelangt. Aber jetzt läuft alles gut, wir sehen uns oft, weil sie in meiner Nähe wohnen. Eine Sache, die übrigens auch ganz wichtig ist: in normalen Wohngebieten zu wohnen und nicht nur unter Migranten zu leben. Also: wir unternehmen viel, gehen zusammen spazieren, zum Sport und auch schon mal ins Theater, das macht Spaß und ich freue mich, dass ich die kleine Familie unterstützen kann.
Hondelink: Man braucht bei der Integration ehrenamtliche Vormunde wie uns, die sich mit um die Kinder anders kümmern können. Denn wir machen Dinge, die die Jugendämter nicht leisten können: mal spazieren oder zum Sport gehen, Vertrauen aufbauen. Das ist so ähnlich wie bei den Sprachlehrern. Auch die können in der Arbeit mit Flüchtlingskindern Dinge leisten, für die normale Lehrer keine Zeit haben.
Ihre Initiative ist derzeit noch auf Magdeburg beschränkt. Ist das Problem, auf das Sie hinweisen wollen, auf die Landeshauptstadt begrenzt?
Hondelink: Wir haben keinen Gesamtüberblick, sondern können nur für die Stadt Magdeburg sprechen. Aber natürlich vermuten wir, dass es im ganzen Land ähnliche Probleme geben würde, wenn der Sprachunterricht wegfällt. Am Ende geht es um diese fünf Millionen Euro. Sind wir bereit, dieses Geld zu investieren, oder nicht?
Stekly: Dazu kann ich ganz allgemein sagen: An den Ausgaben für Bildung darf man nicht sparen. Das gilt für das ganze Land.
Wer den Sprachunterricht nicht fördern will, ist auch nicht an Integration interessiert.
Herr Hondelink, Sie sind Unternehmensberater. Was würden Sie dem Minister quasi aus Ihrer professionellen Sicht raten? Wo soll er das Geld wegnehmen?
Hondelink: Wenn ich als guter Steuerzahler sehe, was hier im Land allein bei der Integration an Geld und Chancen verballert wird: Ältere Flüchtlinge müssen über ein Jahr auf einen Sprachkurs warten. In der Zwischenzeit bekommen sie eine Wohnung bezahlt, bekommen Hartz IV. Sie kosten also ungefähr, wenn man Betreuung und so weiter dazurechnet, 800 Euro im Monat, schätze ich mal. Betriebswirtschaftlich ist das Irrsinn.
Sie wollen da kürzen?
Hondelink: Nein, natürlich nicht. Der Zusammenhang ist ein anderer. Man muss es im größeren Kontext sehen. Wenn man die fünf Millionen Euro, die jetzt für Sprachlehrer fehlen, in die Hand nehmen und quasi investieren würde, damit die 7400 Jugendlichen und Kinder, um die es geht, später nicht Hartz IV bekommen, dann sind diese fünf Millionen Euro im Vergleich zu den Kosten, wenn man es nicht tut, sehr gering. Dazu kommt noch, dass die Erfolgschancen von Integration bei jüngeren Menschen noch viel besser sind. Je früher man die Kinder abholt, und je mehr Aufmerksamkeit man ihnen gibt, desto besser. Wenn man erfolgreiche Integration haben will, dann braucht man das in der Schule. Wer den Sprachunterricht aber nicht fördern will, ist auch nicht an Integration interessiert.
Was sind jetzt, nachdem Sie im Landtagsausschuss waren, Ihre Erwartungen?
Stekly: Wir hoffen natürlich, etwas zu erreichen, aber es wird wohl im Landtag zunächst nur um die 75 angekündigten Stellen gehen. Das ist uns aber zu wenig. Denn je länger es jetzt dauert, desto mehr Lehrer bewerben sich weg und stehen dann nicht mehr zur Verfügung. So erledigt sich das Thema dann wieder von selbst, und das ist nicht gut, denn ein funktionierendes System geht so kaputt.
Hondelink: Wenn es im Bildungsausschuss keinen Durchbruch in unserem Sinne gibt, also wenn nicht alles so bleibt, wie es jetzt ist, wenn die 100 Stellen, die jetzt noch offen sind, nicht bald finanziert werden, dann wollen wir zur Landtagssitzung am 24. November eine Demo in Magdeburg organisieren. Auch die Schulen in Magdeburg, die viel mit dem Thema zu tun haben, beobachten genau, was sich tut, und haben Unterstützung angekündigt. Aber wir hoffen natürlich auch auf landesweite Unterstützung und stehen für eine Vernetzung bereit.
Der Holländer Emiel Hondelink, 46, lebt seit 20 Jahren in Magdeburg. Der Diplom-Betriebswirt ist selbständiger Unternehmensberater in der Landeshauptstadt und seit Mai 2016 Vormund eines minderjährigen unbegleiteten Flüchtlings.
Marion Stekly, 51, ist Betriebswirtin und Sachbearbeiterin im Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft und Energie. Die Magdeburgerin ist seit Mai 2016 Vormund eines syrischen Flüchtlingskindes.
Die Petition zur weiteren Finanzierung der Sprachlehrer ist hier zu finden.