Stadt forciert Kita-Insolvenz
Der Konflikt zwischen Stadt und dem Kita-Träger SKV spitzt sich offenbar weiter zu. Die Stadt soll nun sogar mit einer Eilverfügung drohen, um von der insolventen SKV Akten zu erhalten. Akten, die SKV nach eigener Darstellung gar nicht herausgeben dürfe. Der Träger sieht sich nun erst recht an den Abgrund gedrängt.
Am Mittwoch informierte die SKV-Geschäftsleitung nach Informationen dieses Blogs die Elternvertreter der 14 SKV-Einrichtungen in einer internen Versammlung. Dabei soll der Dresdener SKV-Anwalt Stefan Ettelt nach übereinstimmenden Berichten mehrerer Teilnehmer auch erklärt haben, dass die Stadtverwaltung der SKV ein Ultimatum gestellt habe und mit einer Eilverfügung drohe. So sollten bis Ende der Woche die Übernahmeangebote zweier Bieter an die Stadt übergeben werden mit der Begründung, man benötige diese, um vorsorglich die Erteilung von Betriebserlaubnissen für den Fall eines Verkaufs der SKV zu prüfen. Die Bieter sind die Jugendwerkstatt Frohe Zukunft und der Berliner Kita-Betreiber Fröbel.
SKV-Geschäftsführerin erleidet Zusammenbruch
Ettelt soll in der Sitzung erklärt haben, er sehe in dem Ultimatum möglicherweise einen Versuch, einem dritten Bewerber Angebotsinterna zuzuspielen. Die Angebotsfrist für die Volkssolidarität Saale-Kyffhäuser laufe nämlich noch. So könnte diese dann noch ein verbessertes Angebot abgeben. Die Stadt arbeite folglich allein an der Zerschlagung der SKV und nicht an einem Erhalt des Trägers. Was die Stadt verlange sei wettbewerbsrechtlich nicht möglich. Außerdem habe man Stillschweigen mit den Bietern vereinbart, soll Ettelt gesagt haben. Er wolle aber, wenn alle Angebote vorliegen, die Gläubiger darüber informieren. Das Ultimatum jedoch sei ein unsachgemäßer Eingriff in die Rechte der SKV. „Das ist nahe am Missbrauch der eigenen Rolle“, so Ettelt nach übereinstimmenden Teilnehmerangaben.
SKV-Geschäftsführerin Elke Schwabe soll am Mittwochvormittag bei Erhalt des Stadtultimatums einen Zusammenbruch erlitten haben und kurzzeitig ins Krankenhaus gekommen sein. Am Abend soll sie dennoch zu den Elternvertretern gesprochen haben: „Wir fühlen uns als Unternehmen bedroht von dem, was mit uns passiert“, wird sie von Teilnehmern zitiert. Vor zum Teil aufgebrachten und irritierten Eltern soll Schwabe weiter gesagt haben: „Sie als Eltern sind unser wichtigster Begleiter, aber bitte streiken oder protestieren Sie nicht, denn wir wollen uns nicht vorwerfen lassen, Eltern oder Kinder zu instrumentalisieren. Wir appellieren an den gesunden Menschenverstand.“ Der andere SKV-Geschäftsführer Bodo Meerheim, dessen Rolle als ehrenamtlicher Stadtratsfraktionschef der Linken ein Grund für die harte Haltung des OB sein könnte, sei bei der Sitzung zwar anwesend gewesen, habe aber nicht das Wort ergriffen, schildern Teilnehmer.
Die SKV befindet sich seit Mai in einem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung. Grund sind Rückforderungen der Stadt aus fehlerhaften Abrechnungen, die SKV und andere Träger aufgrund einer fehlerhaften städtischen Richtlinie jahrelang getätigt hatten (Hintergründe zur Insolvenz hier.). In der Regel hat die Eigenverwaltung das Ziel, das insolvente Unternehmen zu erhalten. Bislang haben die Gläubiger in mehreren Sitzungen dem Verfahren auch nicht widersprochen. Die SKV muss aber trotzdem auch Übernahmeangebote entgegennehmen und für die Gläubiger so darstellen, dass ersichtlich wird, bei welcher Variante am meisten für die Gläubiger herauskommt. Die nächste Gläubigerversammlung ist am 1. Dezember. Zwar hat die Stadt nicht die Stimmenmehrheit in dem Gremium. Die anderen Hauptgläubiger, nämlich die Saalesparkasse und die Arbeitsagentur, hätten sich bisher auch konstruktiv im Sinne von SKV verhalten, heißt es von Beobachtern. Doch Wiegand hatte sich kürzlich mit den Chefs beider Institutionen getroffen, ohne dass Ergebnisse der Gespräche öffentlich wurden.
Bei der SKV jedenfalls schrillen inzwischen alle Alarmglocken. SKV-Anwalt Ettelt soll am Mittwoch auch erklärt haben, es habe während des ganzen Verfahrens so gut wie kein Entgegenkommen, noch nicht einmal Verhandlungsbereitschaft auf Seiten der Stadt gegeben – etwas, das er als Anwalt so von Gläubigern noch nirgendwo erlebt habe. Die von der SKV gebotene Ausschüttungsquote sei für Insolvenzverfahren ungewöhnlich hoch und liege je nach Verlauf des Verfahrens zwischen 30 und 50 Prozent der Forderungen und nicht, wie von der Stadt behauptet, bei zwölf Prozent.
Streitpunkt Insolvenzgeld
Bernd Wiegand hat auf eine Gesprächsanfrage dieses Blogs nicht reagiert. Gegenüber dem Stadtrat hatte er zuvor seinerseits der SKV falsche Informationen unterstellt und mehrfach erklärt, für die Kitas, also für Mitarbeiter, Eltern und Kinder, werde sich nichts ändern, egal, wie das Insolvenzverfahren ausgehe. Im Stadtrat begründete die Verwaltung ihre harte Haltung gegenüber der SKV auch damit, dass sie den Kita-Träger nicht gegenüber anderen Trägern begünstigen dürfe, indem ohne Weiteres auf Forderungen verzichtet werde. Zudem gebe es im Insolvenzplan mehrere Posten, bei denen die SKV noch nachbessern müsse.
Der Fall SKV sorgt inzwischen auch in Fachkreisen über die Stadt Halle hinaus für Aufmerksamkeit. „Es ist ungewöhnlich, dass ein Kita-Träger in die Insolvenz gerät“, sagt ein Insolvenzrechtsexperte, der den Fall nur aus den Medien kennt und namentlich nicht genannt werden will. „Viele Kommunen würden normalerweise wegen der Unruhe, die so entsteht, schon im Vorfeld nach Möglichkeiten suchen, das zu umgehen.“ Er halte den Fall in Halle jedenfalls für ziemlich selten.
Auf der rechtlichen Ebene ist ein wesentlicher Streitpunkt in dem Konflikt das von der Arbeitsagentur zu Beginn der Insolvenz für drei Monate gezahlte Insolvenzgeld für die SKV-Beschäftigten. Die Stadt fordert deswegen rund 900000 Euro zurück, die sie nur unter Vorbehalt und auf ein Treuhandkonto überwiesen hatte. Allerdings erhebt auch die Arbeitsagentur Anspruch auf das Geld. Im Insolvenzplan der SKV wiederum soll es an alle Gläubiger ausgeschüttet werden. Der externe Insolvenzexperte: „Insolvenzgeld ist eine Leistung für Arbeitnehmer. Deren Lohnforderungen an das Unternehmen gehen dann an die Arbeitsagentur über. Sie wird Gläubigerin. Es gibt dann aber keinen Automatismus in der Form, dass eine Stadt ihre Zuschüsse zum Geschäftsbetrieb ohne Weiteres zurückhalten könnte, es sei denn, es gibt entsprechende Regelungen oder Vereinbarungen für den Insolvenzfall.“ Ob es solche Regelungen zwischen Stadt und SKV gab, ist offen. Offen ist übrigens auch, ob die Ursprungsforderungen der Stadt überhaupt rechtskräftig sind. Der Streit darüber ruht jedoch, solange über den SKV-Insolvenzplan verhandelt wird.
Doch scheint die politische Ebene in dem Konflikt zu überwiegen. Elternvertreter, die sich an diesen Blog gewandt haben, widersprechen zudem einigen Argumenten der Stadt. Sie befürchten durchaus konkrete Auswirkungen auf die Arbeit der Kitas, sollte es einen anderen Träger geben. So hätten etliche Arbeitnehmer auf einer Versammlung am 21. November erklärt, nicht für einen anderen Träger arbeiten zu wollen. Erzieher könnten das Unternehmen verlassen, ohne dass angesichts des leergefegten Arbeitsmarkts entsprechender Ersatz gefunden werden könnte. Ein Argument, das in der Gläubigerversammlung als sogenannter weicher Faktor durchaus eine Rolle spielen könnte. Zudem gebe es für Mitarbeiter im Falle einer Übernahme durch einen anderen Träger nur ein Jahr lang das Recht auf gleiches Gehalt. Mindestens ein Bieter soll aber einen Haustarifvertrag haben, dessen Gehälter niedriger liegen als derzeit bei SKV. „Wir hoffen, dass es in der politischen Diskussion auch ein Argument ist, einen guten und intakten Träger zu erhalten“, so ein Elternvertreter.
Das Ergebnis der nächsten Gläubigerversammlung jedenfalls ist derzeit völlig offen. Denkbar ist, dass die Stadt mit ihrer ablehnenden Haltung allein bleibt und die anderen Gläubiger dem SKV-Insolvenzplan zustimmen. Dann bekommen die Gläubiger einen Teil ihrer Forderungen zurück. Sollte allerdings eines oder mehrere Übernahmeangebote unterm Strich den Gläubigern eine höhere Ausschüttungsquote aus der Insolvenzmasse versprechen, könnte das auch andere Gläubiger ins Lager der Stadt treiben. Dann könnte eine jahrelange Fortsetzung des Krimis drohen, denn das Insolvenzverfahren ginge dann erst einmal weiter, inklusive eines langen Rattenschwanzes an Rechtsstreitigkeiten.
Auch SKV und der Insolvenz-Aufseher (Sachwalter) Lucas Flöther wollten sich für diesen Beitrag nicht äußern.